Peter Meier-Neves, Gemeindepräsident von Rümlang. Bild: zvg
08.03.2024 06:00
«Rümlang ist im ganzen Kanton am stärksten betroffen»
Der Rümlanger Gemeinderat hat sich vor der Abstimmung gegen den Pistenausbau ausgesprochen und sich in der Öffentlichkeit eingesetzt. Gemeindepräsident Peter Meier-Neves nimmt Stellung zum Resultat und zum Engagement.
Interview: Bettina Sticher⋌
Was sagt Rümlang zum deutlichen Resultat? Erwartet, unerwartet?
Peter Meier-Neves: Das Resultat ist nicht aussergewöhnlich und wurde von uns durchwegs erwartet, selbst wenn wir gerne einen anderen Ausgang erlebt hätten. Es ist das Wesen unserer Demokratie, dass ein ganzer Kanton abstimmen kann und nicht nur diejenigen, welche unmittelbar betroffen sind. Die Spielregeln sind jedoch von Beginn weg klar und daran haben wir uns auch orientiert.
Warum war der Gemeinde und auch Ihnen als Gemeindepräsident dieses Engagement so besonders wichtig?
Dem Gemeinderat geht es einerseits um den Schutz unserer Bevölkerung. Praktisch jede Nacht werden wir mit Lärm des Flughafens konfrontiert. Aufwachreaktionen sind schädlich und müssen vermieden werden. Reaktionen dazu zeigen sich im ganzen Dorf, unabhängig vom exakten Standort. Andererseits ist die Entwicklung von Rümlang sehr stark eingeschränkt. Anhand der Abgrenzungslinien (AGL) können wir ganze Teile des Dorfes nicht wie gewünscht entwickeln. Der Pistenausbau wird diese Einschränkung noch verstärken.
Es gibt auch noch die Schutzverbände und andere betroffene Gemeinden. Rümlang legte sich aber besonders ins Zeug im Vergleich zu den anderen Gemeinden. Ging es nur um diesen Ausbau (man kann ja bei einem Ja das Einhalten der Aussagen einfordern, was ja jetzt auch getan wird) oder ging es auch darum, als Flughafengemeinde generell gehört zu werden?
Rümlang ist im ganzen Kanton die am stärksten betroffene Gemeinde. Bereits heute fliegen zwei Drittel aller Abflüge über unser Dorf hinweg. Zusätzlich sind wir vom Lärm in der Nacht ebenfalls stark beeinträchtigt. Mit der Entlastung des Südens ist es nur logisch, dass die anderen Himmelsrichtungen mehr Lärm «schlucken» müssen. Rümlang hat dabei aber nicht nur an die Eigeninteressen gedacht, sondern vielmehr an die heute schon stark belastete Region.
Es ging Rümlang immer ausschliesslich um den weiteren Ausbau des Flughafens. Mit dem heute vorhandenen Flughafen leben wir alle und spüren in unserer Bevölkerung durchwegs eine grosse Akzeptanz. Wir haben dies bei jeder Gelegenheit betont, daran halten wir fest. Das Einfordern von Versprechungen ist zwar ein gangbarer Weg, der beste Zeitpunkt dafür ist aber vor der Abstimmung und nicht danach. Im Vorfeld der Abstimmung hat sich der Flughafen jedoch davor gescheut, irgendwelche Versprechen abzugeben. Wir werden den Flughafen aber ganz sicher wieder auf die verschiedenen Statements erinnern, wenn es denn nötig sein müsste.
Und in diesem Zusammenhang auch um die ungerechte Verteilung der Steuereinnahmen, die der Flughafen generiert?
Die Steuerverteilung empfinden wir tatsächlich als ungerecht. Das Steuersystem berücksichtigt die Pisten nicht als «Produktion» und diese werden daher nicht gewichtet. Gewisse Kritik daran ist durchwegs angebracht, denn was der Flughafen ohne Pisten wäre, ist auch klar. Berücksichtigt werden müsste die gesamte Anlage, die es benötigt, einen Flughafen erfolgreich zu betreiben. Das Steuersystem ist aber nicht Gegenstand der Flughafen Zürich AG und hat nichts mit der Pistenverlängerung per se zu tun. Gefordert wäre der Kanton oder unsere Regierung, hier endlich eine gute Lösung herbeizuführen.
Auf der Karte sieht man, dass wie zu erwarten war, vor allem die stark betroffenen Gemeinden Nein gesagt haben. Aber nicht alle. Kloten zum Beispiel stimmte mit 57,3 Prozent Ja, Opfikon mit 67,5 Prozent. Wie interpretieren Sie das?
Die Stadt Kloten ist der grosse Profiteur des heutigen Steuersystems. Kein Bauer schlachtet die Gans, die ihm goldene Eier beschert. Die Corona-Pandemie hat dies sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Kloten wurde einem Spardruck ausgesetzt, der wohl viele Politiker und Politikerinnen beängstigt hat. Es ist eine ganz normale, verständliche Reaktion der Stimmberechtigten.
Wie sind die Reaktionen aus der Bevölkerung?
Die Reaktionen aus der Bevölkerung waren überwältigend positiv. Sehr vereinzelt wurden auch kritische Stimmen zur Stellung der Gemeinde laut. Das gehört dazu, das akzeptiert der Gemeinderat auch. Nicht akzeptabel sind allerdings Reaktionen, welche ausserhalb des üblichen Anstands liegen. Darauf reagiere ich auch nicht. Für ein anständiges und konstruktives Gespräch bin ich aber jederzeit offen.
Wie geht es nun weiter mit dem Einsatz der Gemeinde zur Einhaltung der Nachtruhe und des Versprechens des Flughafens, die Pistenverlängerungen nicht für den Kapazitätsausbau zu benutzen?
Wir hatten mit den Verantwortlichen des Flughafens schon immer einen guten und konstruktiven Dialog. Diesen werden wir weiter pflegen, auch vom Flughafen kamen bereits entsprechende Mitteilungen. Es ist wichtig, dass sich der Gemeinderat weiter für den Schutz der Rümlanger Bevölkerung einsetzt und den Flughafen überzeugt, dass dies der einzig langfristig erfolgreiche Weg für den Flughafen und dessen Akzeptanz ist.
Bei dieser schnellen Bevölkerungszunahme in der Schweiz ist ein Kapazitätsausbau beziehungsweise eine Anpassung der gesamten Infrastruktur, also auch des Flughafens, ja eigentlich unumgänglich, will man den Status quo an Leistung beibehalten.
Unser Pistensystem hat noch genügend Kapazität, um die weitere Bevölkerungszunahme aufzunehmen. Vor 25 Jahren hatten wir deutlich mehr Flugbewegungen als letztes Jahr. Das sollte allerdings kein Ziel sein.
Vereinzelte Medien stellten die Berechtigung des Gemeinderates in Frage, sich gegen den Pistenausbau zu positionieren. Woher nahmen Sie die Überzeugung, dies trotzdem zu tun?
Diese Frage wird mittels eines Merkblattes des Kantons geregelt, auch Gerichte haben sich in der Vergangenheit mit dieser Frage auseinandergesetzt. Dies war uns durchwegs bewusst und wir haben einen Werbepartner gewählt, welcher in diesem Bereich eine Erfahrung aufweisen konnte. Nebst den Kosten, der Verfügbarkeit war dies ein wichtiges Kriterium.
Dass der Gemeinderat die Meinung der Rümlangerinnen und Rümlanger vertritt, zeigt das deutliche Abstimmungsergebnis. 68 Prozent aller Stimmenden haben ein Nein in die Urne gelegt, was ein äusserst klares Resultat darstellt (deutlicher als das Ja des gesamten Kantons).
Die Mitglieder des Gemeinderates sind in etlichen Vereinen des Dorfes vertreten, gehören jeder Couleur des breiten politischen Spektrums an und nehmen am kulturellen Leben des Dorfes teil. Von daher kennen wir die «breite Meinung» und können diese gut einschätzen.
Ebenfalls haben sich die politischen Ortsparteien im Vorfeld dazu geäussert, was die Position des Gemeinderates zusätzlich stärkte.
Sie wurden durch einen Stadtpräsidenten persönlich wegen Ihrer öffentlichen Haltung angegriffen. Wie gehen Sie damit um?
Ich habe das Interview gelesen, nehme diese Kritik jedoch gelassen. Was ihn angetrieben hat, ist für mich nicht nachvollziehbar. Allenfalls war es eine Angstreaktion oder blosse Unwissenheit zur Situation in Rümlang. Für mich gibt es die «Nichtstun»-Option eben nicht, wenn es um den Schutz der Bevölkerung geht. Dafür stehe ich gerne ein, dafür fühle ich mich zuständig.
Interview: Bettina Sticher