Angelina ist eines der gelassensten Ponys der Schweiz
Gabi Hinnen und ihr Pony Angelina sind an den Schweizermeisterschaften im Horseathlon zweite geworden. Für den Wettkampf lernen Pferde mehr Gelassenheit im Alltag.
Gabi Hinnen und ihr Pony Angelina sind an den Schweizermeisterschaften im Horseathlon zweite geworden. Für den Wettkampf lernen Pferde mehr Gelassenheit im Alltag.
Pferde sind von Natur aus schreckhaft. Kuhglocken auf der Weide, eine glitzernde Folie am Boden, eine Pfütze, ein Mensch in Leuchtweste: für scheue Pferde sind das brenzlige Situationen. Ihr Reflex ist zu flüchten. Sich als Reiter auf einem panischen Pferd zu halten, ist schwierig, ihm als Spaziergänger im Wege zu stehen gefährlich. Deshalb werden Pferde in der Regel schon als Fohlen an den Alltag gewöhnt. «Das erste, das sie lernen müssen, ist die Hufe zu geben, damit sie täglich kontrolliert und ausgeräumt werden können», sagt Gabi Hinnen von der gleichnamigen Pferdepension in Rümlang. Für ihr eigenes Pony Angelina ist das längst Routine. Das Pferdchen nimmt Herausforderungen so ruhig an, dass es schon zum dritten Mal in Folge an den Schweizermeisterschaften im Horseathlon zweites geworden ist.
Gabi Hinnen trainiert rund jeden zweiten Tag mit Angelina. Auf dem eigenen Hof baut sie Hindernisse auf, wie etwa ein Geflecht aus bunten Schwimmnudeln, durch das Angelina gehen soll. Die Nudeln sind aus weichem, biegsamem Schaumstoff und keine reale Bedrohung. «Beim Horseathlon geht es ums Vertrauen. Das Pferd muss mir glauben, dass die Aufgabe nicht gefährlich ist», erklärt Hinnen. Zuerst aber müsse es verstehen, was sein Mensch von ihm wolle. «Wir arbeiten mit Körpersprache, Gesten mit der Peitsche und Kommandos, wie steh oder geh. Die Peitsche benutzen wir nie, um zu schlagen.» Macht das Pferd etwas falsch, sagt Hinnen «nein» und führt es zurück zum Ausgangspunkt. Der Mensch muss spüren, wann das Tier einen Versuch in die gewollte Richtung startet und es im richtigen Moment ermutigen. «Loben ist wichtig, viel loben, wenn das Pferd etwas richtig gemacht hat.» Damit das Tier die Erfahrung verarbeiten und lernen kann, brauche es auch Pausen. «Habe ich es gelobt, lasse ich ihm einen Moment Zeit, um das abzuspeichern. Manche Pferde blinzeln oder kauen, während sie nachdenken.» Ein Pony so weit zu haben, wie Angelina dauert mehrere Jahre. Das kleine Pferdchen meistert die Aufgabe mit den Nudeln, ohne mit den Wimpern zu zucken. Gemütlich spaziert es am Strick durch das Hindernis, als wäre es nicht vorhanden. Hinnen wagt ein Experiment. Sie lässt den Strick los, legt ihn um den Nacken des Ponys und stellt sich auf die andere Seite des Nudel-Gatters. Dort gibt sie Angelina das Kommando zu kommen. Das Pferdchen zögert einen Moment. Kurz sieht es so aus, als würde es durch die Nudeln spazieren, doch im letzten Augenblick dreht es ab und umgeht das Hindernis. Obwohl es die Aufgabe verweigert, macht es nicht den Eindruck, als hätte es dabei viel seiner Gelassenheit verloren.
Die Besitzerin vom Pensions-Hengst George will den selben Challenge mit ihm versuchen. «Er hat das noch nie gesehen», sagt Hinnen und ist selbst gespannt, ob der grosse Schimmel-Hengst den Mut aufbringt, durch die Nudeln zu gehen. Die Besitzerin führt ihn vorsichtig an das Hindernis heran und lässt ihn am lockeren Strick daran schnuppern. George wendet nervös den Kopf ab, als würde er nach einem Fluchtweg Ausschau halten. Mit der Zeit wird er ruhiger. Argwöhnisch betrachtet er die bunten Schaumstoff-Dinger. Nach einer Weile stellt sich die Besitzerin auf die andere Seite der Nudeln und gibt dem Hengst zu verstehen, dass er durchspazieren soll. Sie hält ihn weiterhin am Strick. Er braucht Zeit bis er sich traut. Seine Körperhaltung ist angespannt, die Ohren angelegt, der Blick starr nach vorne gerichtet, als er eilig durchtrabt. Man sieht ihm an, dass er seinen ganzen Mut zusammennehmen muss, um seiner Besitzerin zu gehorchen. Ein Lob und ein Leckerli zeigen ihm, dass er gemacht hat, was man von ihm wollte.
Nach dem Nudel-Experiment führt Hinnen Angelina und ihr zweites, jüngeres Pony Sydney an je einer Hand auf zwei Podeste zu. Die Ponys heben nahezu Synchron die Vorderhufe und steigen auf - eine Premiere. «Ich führe sonst nie beide miteinander», sagt Hinnen. Sie drängt ihre Schützlinge zu nichts und führt sie stets am lockeren Strick auf die Hindernisse zu. Sie sollen verstehen, dass sie nicht in Gefahr sind und nicht zu etwas gezwungen werden. Das Ziel von Horseathlon ist absolute Gelassenheit in jeder Situation, in der die Meisterin den Ton angibt. «Im heutigen Alltag geht es nicht mehr anders. Der Wald ist bevölkert. Biker, die von hinten anrasen, Forstarbeiter in Leuchtkleidung, Autos auf schmalen Wegen – ist ein Pferd diese alltäglichen Störungen nicht gewöhnt, wird es schnell gefährlich.» Angelina und Sydney haben das im Griff. Doch die Pensionspferde häufig nicht von Anfang an. «Wir haben schon Dreijährige erlebt, die nervös wurden, wenn sie den Huf geben mussten. Von Besitzern untrainierter Pferde verlangen wir, dass sie wöchentlich mit ihnen üben. Andernfalls nehmen wir sie nicht in Pension. Das ist auch zu unserer Sicherheit. Wir halten sie ja nicht nur im Stall, sondern führen sie auch auf die Weide.» An den Horseathlon-Meisterschaften ist allerdings nicht nur gewohnheitsmässiges Handeln gefragt. Auch Ungewohntes ist zu meistern. «Die Ponys lernen schnell auswendig. Sie sind es gewohnt, auf Kommando auf das Podest zu steigen. An der diesjährigen Meisterschaft sollten sie davor stehenbleiben. Viele haben nicht auf das Kommando gehört und sind automatisch hochgestiegen.» Nicht Angelina. Gelassenheit und Flexibilität machen die wahre Meisterin aus. Vielleicht reicht es ja im nächsten Jahr für den einen Punkt mehr, der für den ersten Platz an den Schweizermeisterschaften gefehlt hat.
Bernadette Dettling
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